Engel & Völkers
  • 7 min. Lesezeit
  • von Michaela Cordes

Auf den Spuren von Dian Fossey

Eine Reise zu den Berggorillas Ruandas

Foto von: Wildnerness
  • Ausgabe

    02/23

  • Ort

    Ruanda

  • Fotografie

    David Yarrow

Sie war unbequem, passioniert und zahlte für den Schutz ihrer großen Liebe mit dem Leben. 37 Jahre nach dem Tod der legendären Forscherin nimmt erstmals die Anzahl der vom Aussterben bedrohten Berggorillas in Ruanda wieder zu. Ein Besuch in einem faszinierenden Land, das nach dem Völkermord von 1994 eine neue Identität gefunden hat und heute auf Fürsorge und Liebe setzt.

Da! Plötzlich raschelt es hinter uns im Gebüsch, und ich sehe eine Hand, besetzt mit schwarzem, langem Fell, die sich einen Bambuszweig greift. Es folgt ein genüssliches Schmatzen. „Bleib ganz ruhig stehen“, sagt Ignacius, mein Guide, und macht ein tiefes, rollendes Mhhh-mhhhhhh-Geräusch. Das ist Gorilla-Sprache und bedeutet: Ich tue dir nichts. Während der Silberrücken weiter seine Lieblingspflanze verspeist, hat sich hinter mir ein kleinerer Gorilla platziert.

Ich drehe mich langsam zu ihm um. Er schaut mich fast schüchtern, aber interessiert an und robbt dann auf seine Fingerknöchel gestützt tiefer in den Regenwald. „Komm mit!“, sagt Ignacius und folgt dem Blackback, einem männlichen Tier, das sich mit fortgeschrittenem Alter in einen Silberrücken verwandeln wird, durch das Dickicht. Um das verzweigte Unterholz zugängig zu machen, schlägt er mit seiner Machete den Weg frei. Duckend folge ich ihm durch das stachelige Gewächs. Ich schaudere ein wenig beim Anblick der Machete, denn sie war nicht nur das bevorzugte Messer der Wilderer, die bis vor Kurzem noch unzählige Berggorillas in Ruanda töteten. Sie war auch die Waffe, die während des Genozids vor 29 Jahren benutzt wurde, um innerhalb von nur 100 Tagen etwa eine Million Menschen brutal umzubringen.

Es ist das dunkelste Kapitel des Landes, in dem heute fast jede und jeder einen verwandten Menschen verloren hat, gehört aber trotz allen Schmerzes zur Vergangenheit; man hat sich hier ganz bewusst gegen den Hass und für eine hoffnungsvolle Zukunft entschieden. Die Folge: Ruanda gilt mittlerweile als eines der modernsten Länder Afrikas. Das Parlament ist zu fast 65 Prozent mit Frauen besetzt. Die Hauptstadt Kigali ist die sauberste des Kontinents, man hat zum Beispiel schon 2008 Plastiktüten verboten, und der Schutz der Berggorillas gehört heute zum obersten Gebot.

„Wir haben uns für die Vergebung statt für die Rache entschieden“, erzählt mein Fahrer Emmy auf dem Weg von Kigali nach Bisate und erklärt, von wo aus mein Gorilla-Track ursprünglich gestartet ist. Stolz zeigt er mir die vielen modernen Radarsäulen, die ich aus Deutschland kenne und die geradezu üppig alle paar Kilometer und sogar auf den ländlichen Straßen aufgebaut sind und dazu geführt haben, dass es kaum noch Verkehrstote gibt. Mehr als 200 Genozid-Gedenkstätten finden sich im ganzen Land verteilt, die offen kommunizieren, was niemals wieder hier oder in einem anderen Land der Welt geschehen darf.

Eine ähnlich liebevolle Sinneswandlung hat das Land auch bezüglich seiner exotischen Bewohner*innen vollzogen. Dian Fossey, die Ruanda in den 70er-Jahren aufgrund seiner laschen Haltung gegenüber Wilderern offensiv angriff und mahnte, dass die Berggorillas vermutlich noch im 20. Jahrhundert komplett aussterben würden, wird mittlerweile als Heldin verehrt.

Um die Berggorillas zu besuchen, braucht man Geduld.

Um die Berggorillas zu besuchen, braucht man Geduld, fast zwölf Monate habe ich mich auf die Begegnung gefreut. Das einzigartige Abenteuer ist sehr begehrt und die Warteliste lang. Nur zwölf von den 20 Gorilla-Familien dürfen einmal am Tag aufgesucht werden: von jeweils acht Besucher*innen für eine Stunde. „Wir haben Gäste, die bis zu zwei Jahre im Voraus buchen“, erklärt mir Ingrid Baas, Operations Manager von Wilderness Rwanda. 2019 eröffnet, ist diese wunderschöne Lodge, die im Vulkan-Nationalpark liegt, nonstop ausgebucht und gilt unter Kenner*innen als eine der besonderen Lodges, von der aus man sein Gorilla-Abenteuer starten sollte. Nach einer kurzen, aufgeregten Nacht in dieser geschmackvollen und gemütlichen Unterkunft, deren Zimmer wie einzelne Bienenstöcke in den Hang gebaut sind, bin ich um 5 Uhr morgens aufgestanden, habe Regensachen und Handschuhe (zum Schutz vor dornigen Büschen) in meinen Rucksack gepackt und meine wasserdichten Wanderstiefel und die mitgebrachten Gamaschen angezogen (damit keine Insekten vom Boden in meine Schuhe krabbeln). Dann geht es per Jeep zum Gorilla-Tracking-Treffpunkt, wo ich in eine der zwölf Gruppen eingeteilt worden bin.

Mit Lunchbox, Wasserflasche und einem Wanderstock versehen, beginnt der Aufstieg. Unter Leitung von drei Guides stapfen wir erst über Bohnen- und Kartoffelfelder, die direkt am Fuß des 3.669 Meter hohen Vulkans Sabinyo von lokalen Bauern angelegt wurden, was uns deutlich macht, wie nah der Mensch dem Lebensraum der Berggorillas gekommen ist. Der Sabinyo ist einer von acht Vulkanen des Virunga-Gebirges. Er teilt sich in drei aneinandergrenzende Länder auf, in denen sich die Berggorillas ohne Grenzbeschränkung frei bewegen können: Ruanda, Uganda und die Demokratische Republik Kongo. Bei der letzten offiziellen Zählung hat man im Virunga-Gebirge 1.060 Berggorillas ermittelt, ein erfreuliches Ergebnis – gab es doch zu Lebzeiten von Dian Fossey nur noch knapp 250 Exemplare dieser Spezies, deren DNA mit der von uns Menschen bis zu 98 Prozent identisch ist. Bald ist Mittagszeit an diesem sonnigen Dezembertag im Vulkan-Nationalpark im Nordwesten Ruandas, in dem heute 20 Berggorilla-Familien zu Hause sind. Es ist 24 Grad warm und noch keine Regenwolke in Sicht. Zum Schutz der seltenen Tiere müssen wir Masken tragen. Ignacius: „Seitdem wir auf die Masken bestehen, werden unsere Gorillas viel weniger krank. Nicht nur wegen der Corona-Pandemie. Die Gorillas sind auch sonst anfällig und stecken sich leicht bei uns Menschen an.“

Berggorillas ernähren sich ausschließlich von Pflanzen und nehmen die erste Mahlzeit gegen 10 Uhr am Vormittag ein. Das geschieht, nachdem sie aus ihrem jeweiligen Nacht-Nest gestiegen sind, das sie vorm Schlafengehen jeden Abend innerhalb von wenigen Minuten aus Blättern selber bauen (aus hygienischen Gründen – da sie es auch als Toilette benutzen). Es ist dieses Zeitfenster nach der ersten Mahlzeit, das uns erlaubt, die Berggorillas zu besuchen. Dann sind die Gorillas gesättigt und etwas müde. Kein Wunder, denn ein ausgewachsener, 1,70 Meter großer Silberrücken verputzt bis zu 30 Kilogramm Pflanzen am Tag.

Die großen Primaten haben heute fast keine Feinde mehr – ganz anders als zu Dian Fosseys Zeiten. Damals waren es vor allem die Machenschaften korrupter Wildfänger, die ganze Gorilla-Familien ermordeten, um ein Gorilla- Baby zu entführen. Dieses brutale Töten hatte die amerikanische Forscherin mit aufwendigen Reportagen in Zeitschriften wie „National Geographic“ international publik gemacht. Gorilla-Familien – das muss man wissen – kämpfen unerbittlich um ihre Jüngsten. Daher mussten die Wilderer oft die gesamte Familie umbringen, um ein einziges Gorilla-Baby meistbietend an einen westlichen Zoo zu verkaufen. Für ein Gorilla-Baby starben damals bis zu zehn Familienmitglieder, was den drastischen Rückgang der Berggorillas zu Fosseys Zeiten erklärt. „Mittlerweile haben auch die Zoos gelernt, dass Berggorillas nirgendwo anders überleben können als in ihrer Heimat“, erklärt mir Ignacius.

Daher hat sich auch die Regierung Ruandas dem Schutz der Berggorillas verschrieben. Man hat harte Strafen gegen Wilderei eingeführt und unterstützt auch öffentlich die 1967 von Dian Fossey gegründete Karisoke-Stiftung. Umbenannt in den „Dian Fossey Gorilla Fund“ gibt es darüber hinaus heute unzählige Prominente, die für die Erhaltung der so gefährdeten Tiere hohe Summen gespendet haben. Die berühmteste ist die Moderatorin Ellen DeGeneres, die nach ihrem ersten Berggorilla-Besuch derart berührt war, dass sie in Bisate das hochmoderne Museum „The Ellen DeGeneres Campus of the Dian Fossey Gorilla Fund“ zu Ehren und Aufklärung der Gorillas bauen ließ und im Februar 2022 eröffnete. Aber auch Persönlichkeiten wie der Formel-1-Fahrer Lewis Hamilton oder Schauspieler Harrison Ford sollen beim Anblick der Berggorillas demütig geworden sein.

Von jedem Tourist*innenbesuch gibt die Stiftung heute zehn Prozent an den Staat ab, womit jede*r Einwohner*in Ruandas am exklusiven Gorilla-Tourismus mitverdient und den Wilderern die Grundlage nimmt. Dazu arbeitet ein Team von lokalen Wissenschaftlern und Ärzten rund um die Uhr, um weitere Erkenntnisse über den Berggorilla zu erlangen. Acht von den 20 hier existierenden Gorilla-Familien werden ausschließlich zu wissenschaftlichen Zwecken beobachtet.

Kwisanga heißt: „Fühl dich zu Hause“

Um die Gorillas aufzuspüren, machen sich sogenannte Gorilla-Tracker*innen – die auch die Gesundheit und Gewohnheiten dieser Tiere täglich dokumentieren – auf die Suche nach der Kwisanga-Gorilla-Familie, die ich heute besuchen darf. Per Walkie-Talkie in- formieren die Tracker*innen unsere Guides, wo wir genau hinwandern müssen. Kwisanga heißt: „Fühl dich zu Hause“. Der Name stammt aus ihrer ungewöhnlichen Geschichte. „In dieser Gorilla-Familie gibt es zwei Silberrücken. Sie kamen vor 15 Jahren aus dem Kongo zu uns und sind nie wieder zurück- gekehrt“, erzählt mir später am Abend Loyce, die Assistentin des Managers der Wilderness Bisate Lodge, die zuvor elf Jahre lang beim Vulkan-Nationalpark als Guide gearbeitet hat. Um ein Gorilla-Guide zu werden, erklärt sie mir, bedarf es einer aufwendigen Ausbildung, anspruchsvolle Kriterien müssen erfüllt werden. Nur 17 von 1.000 Bewerberinnen und Bewerbern schaffen es jährlich in die finale Auswahl.

Nachdem wir am Fuße des Vulkans den Regenwald betreten haben, wird die Vegetation eindeutig wilder: Hier leben außer den Gorillas auch Elefanten und Büffel, die den Tourist*innen auch mal gefährlich werden können. „Gestern hatte ich eine Gruppe, da ist ein Gast sehr nervös geworden und wollte weglaufen, als die Elefanten auf uns zukamen“, erzählt mir später einer der Tracker*innen. Und auch unverhoffte Situationen können passieren, wenn die Tracker*innen nicht vor den Besucher*innen auf die Gorillas stoßen. „Man darf nicht vergessen, dass es wilde Tiere sind“, warnt Loyce, die in den elf Jahren nur einmal eine höchst aggressive Gorilla-Familie vorfand. „Später haben wir erfahren, dass sich das Baby in einer Antilopen-Falle verheddert hatte und die ganze Familie deswegen unter Stress geraten war.“

Eine Stunde bei den Gorillas

Nichts von alledem ist gegenwärtig, als ich endlich die gesamte Kwisanga-Familie erblicke, die ich heute besuchen darf. Stattdessen müde Harmonie. Auf der sattgrünen Anhöhe angekommen, beginnt es plötzlich zu regnen, und ich entdecke ein flauschiges Gorilla-Baby, das sich entspannt gähnend an seinen tief schlafenden Vater – den zweiten Silberrücken der Familie – ankuschelt. Ein weiterer junger Gorilla krabbelt aus den Bambusbüschen hervor und nimmt unmittelbar vor mir Platz. Man soll als Besucher*in mindestens sieben Meter Abstand halten. „Aber wenn die Gorillas sich auf dich zubewegen, dann musst du ganz still stehen bleiben“, hatte mir Ignacius vorher eingeschärft. Also verharre ich in meiner Position und bin diesem Gorilla-Teenager plötzlich so nahe, dass ich nur meine Hand ausstrecken müsste, um ihn zu berühren. Aber anders als Dian Fossey, die für ihre spektakulären Interaktionen mit den Berggorillas weltweit berühmt wurde und sie in ihrem Bestseller „Gorillas im Nebel“ festgehalten hat, ist uns das Anfassen der Tiere strengstens untersagt. Dennoch fühle ich mich an die beeindruckenden Dokumentationsfilme von Fossey erinnert: Denn plötzlich liegt der junge Gorilla auf dem Rücken, schaut mich immer wieder an und spielt wie ein Menschenbaby mit seinen Füßen. Als es stärker anfängt zu regnen, kommt plötzlich die Mutter durchs Gebüsch und hält ihre Kinder an, sich eng unter einem schützenden Baum an sie zu legen. Nur der zweite mächtige Silberrücken-Gorilla bleibt stoisch und fast trotzig mit verschränkten Armen im Regen sitzen und verzieht scheinbar etwas genervt den Mund.

Nach genau einer Stunde ist unsere Zeit um, unsere einzigartige Audienz bei diesen majestätisch wirkenden Tieren ist beendet. Als hätten das auch die Gorillas verstanden, steht der Silberrücken-Gorilla auf und schreitet ganz dicht an mir vorbei und verschwindet im Gebüsch, um nun doch vor dem starken Regenguss Unterschlupf zu finden.

37 Jahre nach dem Tod von Dian Fossey, die so unerbittlich um das Überleben dieser Tiere kämpfte, dass sie 1985 selbst einem bis heute unaufgeklärten Attentat zum Opfer fiel, bleibt der Mensch die einzige Bedrohung für das Überleben der Berggorillas. Vor allem der knapper werdende Lebensraum macht den Berggorillas zu schaffen. Daher arbeitet das Unternehmen Wilderness nicht nur an der Integration der Dorfbewohner im Unternehmen. Die alljährliche Naming-Zeremonie der neugeborenen Gorilla-Babys stellt einen Höhepunkt im Dörfchen von Bisate dar. Aber auch auf das ehrgeizige Wilderness-Projekt ist man jetzt schon stolz: Mit einem mächtigen Wiederaufforstungsprojekt rund um die Wilderness Bisate Lodge will man den Lebensraum der Berggorillas deutlich erweitern. „Unser Ziel ist es, den Nationalpark um ein Vielfaches zu vergrößern, sodass die Berggorillas künftig noch viel mehr Platz haben, um sich auszubreiten, und unsere Lodge eines Tages mitten im Regenwald liegen wird“, erklärt mir Ryan, der Manager von Wilderness Bisate.

Bevor ich abfahre, darf ich hier noch einen Baum pflanzen: Es ist ein African Redwood. Lebenszeit: bis zu 250 Jahre, einer der Lieblingsbäume der Berggorillas. Um zu schauen, ob es mit der Wiederaufforstung funktioniert, hat Wilderness rund um die Lodge Kameras aufgestellt. Und siehe da: Zwei Tage vor meiner Ankunft hat man die ersten zwei Berggorillas beim Erkunden der Umgebung gesichtet.

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